Auch diese Ebene von Edward Bergers Neuverfilmung von “Im Westen Nichts Neues” vermischt durch solche Suggestionen deutschen Opfertums im Partisanenkrieg alte WWI-Propaganda mit späteren Rechtfertigungen des NS-Vernichtungskriegs und des Holocaust by Bullets in der Sowjetunion.
Auch das noch: Die unerbittlichen Franzosen opfern Tausende für einen ungerechten Diktatfrieden, den der Good German (Daniel Brühl) unterwürfig unterzeichnen muss. Fazit: Die Franzosen sind am Zweiten Weltkrieg schuld.
Im Felde unbesiegt:
#Dolchsto
ß in den Rücken. Siegfried stirbt. Hagen ist hier ein französischer Soldat. Kaum zu glauben, dass eine solche fatale Symbolik heutzutage auch noch mit vier Oscars prämiert wird.
Der eine böse deutsche General, der auch nur einsam ist, kann die breite antifranzösische Aggression des Films kaum dämpfen: Die deutschen Soldaten wanken als unschuldige, sensible Schmerzensmänner durch romantische Landschaften, während die Franzosen mit Flammenwerfern kommen.
Sie haben Doppeldecker, Panzer und Essen im Überfluss. Wenn die armen deutschen Hungerleider auch mal eine Gans wollen, um den Frieden zu feiern, werden sie von französischen Franktireur-Bauern und ihren Kindersoldaten aus dem Hinterhalt beim Pinkeln niedergemacht. Dolchstoß II.
Der Mythos schießwütiger belgischer und französischer Franktireurs, eines illegalen “Volkskriegs” gegen das deutsche Heer, war eine Propagandalüge des Ersten Weltkriegs, die deutsche Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung der überfallenen Länder rechtfertigen sollte.
Diese mittlerweile im deutschen Kino Routine gewordene Täter-Opfer-Umkehr im Blockbuster-Format habe ich vor zehn Jahren bereits schon einmal anhand von “Unsere Mütter, unsere Väter” (
#UMUV
) ausführlicher analysiert:
Der grassierende Glaube, der Erste Weltkrieg sei in Sachen deutscher Kriegsschuld irgendwie neutraler, ist nicht nur historisch falsch: Der Sense of Commonality, an dem heutige deutsche Kriegsfilme affektiv arbeiten, zielt auf Schuldabwehr, immer auch im Blick auf die Shoah.
Schlagbilder und affektive Skripte aus beiden Weltkriegen werden strategisch vermengt, selbst unter Rückgriff auf Versatzstücke der NS-Moral (siehe Raphael Gross). Deswegen wirkte
#UMUV
z.B. in den Ostfront-Szenen oft wie ein Film über den Grabenkrieg im Ersten Weltkrieg.
Die
#Dolchsto
ßlegende hatte für den NS bereits zur Zeit der Weimarer Republik eine klare antisemitische Ausrichtung. Bei Berger wird dieser Verschwörungsmythos jedoch anhand filmischer Codes auf die Franzosen projiziert. Ein altes antisemitisches Narrativ kriegt 2023 Oscars?
Die Feindbilder, auf die der Film rekurriert, sind sogar noch viel älter. Sie stammen aus der Zeit des Befreiungskriegs gegen Napoleon. Bei dem Kriegshetzer Ernst Moritz Arndt etwa wurden ‘die Franzosen’ als quasi-jüdischer Erbfeind konstruiert. Wieso bekommt sowas vier Oscars?
Da hier mein Eröffnungstweet als assoziativ abgetan wird: Der Begriff der
#Wechselrahmung
stammt von Harald Welzer und bezieht sich in “Opa war kein Nazi” auf den Revisionismus des deutschen Familiengedächtnisses zum NS. In der Forschung wurde er aufs deutsche Kino angewandt.
Wie Ebbrecht habe auch ich in einem Beitrag bei
@GermanQuarterly
schon einmal Oliver Hirschbiegels 2004 Oscar-nominierten Hitler-Film “Der Untergang” auf die Affektivität solcher Wechselrahmungen hin untersucht:
Bergers Filmcover kopiert übrigens die berühmte Schluss-Montage in Lewis Milestones erster Verfilmung von Remarques Roman, ebenfalls Oscarpreisträger. Ein ambivalentes Bild, das auch als Pathosszene der Freikorps-Wiederkehr einer „verlorenen Generation“ gelesen werden konnte.
Elisabeth Bronfen hat die Szene in ihrer Studie „Specters of War. Hollywood‘s Engagement with Military Conflict“ einführend beschrieben (dt. Übersetzung siehe oben). Remarques keineswegs nur „pazifistischen“ Roman und Milestones Adaption habe ich zudem in meiner Habil behandelt.